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Biophilie & Co.

Warum funktioniert Tiergestütztes Arbeiten?
Ein Versuch der Erklärung am Beispiel Hund.

Als wir unsere erste Hündin Anfang 2005 als Welpen aus dem Tierheim adoptierten, geschah das in erster Linie auf Wunsch meines Mannes, der sich spontan in das unglückliche kleine Knäuel verliebt hatte. Ich war noch sehr unerfahren im Zusammenleben mit unserem neuen Hausgenossen und ließ die Dinge auf mich zukommen. Es war faszinierend, zu beobachten, wie schnell wir drei uns trotz erheblicher Umstellungen des gewohnten Alltags aneinander gewöhnten und unser Zusammensein genießen konnten. Auch die täglichen Spaziergänge sorgten bei mir für Überraschung: es ist einfach nicht möglich, mit einem jungen Hund an der Leine durch die Gegend zu laufen und nicht angesprochen zu werden! Wildfremde Menschen blieben stehen, begannen ein freundliches Gespräch und wollten Shiva streicheln. Ich erfuhr viele bewegende Geschichten aus dem Leben dieser Menschen, meist, obwohl ich nicht einmal ihre Namen kannte; für mich war diese vertrauensvolle Offenheit immer wieder Grund zum Staunen.

Wie kann es sein, dass unterschiedliche Spezies so reibungslos interagieren und harmonieren können? Und wieso reagieren wir Menschen so emotional auf die Anwesenheit eines Tieres?

Inzwischen beschäftigt sich auch die Wissenschaft immer intensiver mit dem Phänomen der Mensch - Tier – Beziehung und internationale (und mittlerweile endlich auch nationale) Studien versuchen die Voraussetzungen, die Effekte und die daraus resultierenden Einsatzmöglichkeiten dieses Miteinanders zu durchleuchten.

Ich nutze diese positive Interaktion nun schon seit Jahren in meiner Praxis und dennoch beeindrucken mich die Reaktionen der Patienten auf die Anwesenheit meiner Hunde stets aufs neue und für mich steht außer Frage, dass der gezielte Einbezug eines Tieres in den therapeutischen Prozess tatsächlich positiven Einfluss hat.


Wir reagieren auf die Tiere.
Sie sprechen einen Teil in uns an, der tiefer reicht, als rational erklärbar ist. Die Angst vor Spinnen, Schlangen und Mäusen ist vielen Menschen sehr geläufig; das Schaudern, der beschleunigte Herzschlag, das unwillkürliche Zurückzucken sind spontane körperliche (somatische) Reaktionen auf ein Emotionen, auf die wir kaum einen Einfluss haben.
Und genau diesen Effekt gibt es auch in Positiv. Die Anwesenheit von Tieren, die nicht angstbesetzt ist, hat genau den umgekehrten Einfluss auf unsere Psyche und Physis. Der Anblick von Fischen in einem schön gestalteten Aquarium senkt den Blutdruck und wirkt entspannend (was z.B. inzwischen von vielen Zahnärzten in ihren Wartezimmern genutzt wird). Mehrere, mit Hunden durchgeführte Studien belegen, dass die bloße Präsenz eines Tieres im Raum stressreduzierend und blutdrucksenkend wirkt (siehe auch Greiffenhagen, Tiere als Therapie 2007, S.32f.).
Verhaltensforscher wie Wilson und Kellert gehen davon aus, dass es eine angeborene, instinktive Neigung des Menschen gibt, mit der Natur in Kontakt zu treten. Diese tief in uns verankerte Verbindung zur belebten Natur wird in den Geisteswissenschaften unter dem Begriff der Biophilie zusammengefasst und diskutiert.

Für mich macht das durchaus Sinn. Über eine Millionen Jahre hinweg hat sich der Mensch im Einklang mit der Natur entwickelt. Erst in den letzten Dekaden begann unsere systematische Emanzipation und somit auch die Entfremdung von unseren Wurzeln. Für viele unserer technischen Errungenschaften bin ich von Herzen dankbar aber zwischendurch brauche ich eine Pause von Auto, Computer und Co und richtig lebendig fühle ich am ehesten bei einem ausgedehnten Waldspaziergang mit meinen Hunden, den würzigen Duft von Harz und Laub in der Nase, lauschend auf ein verräterisches Knacken im Unterholz, den Körper in Spannung....

In vielen Menschen lösen gerade Tiere wie Hunde oder Pferde diese Sehnsucht nach Freiheit und Natur aus. Sie halten inne, schauen, fühlen und werden aufmerksamer – eine wunderbare Basis für therapeutische Arbeit.


Tiere bauen Brücken.
Man sucht einen Therapeuten auf, weil man ein Problem hat. Im Bereich der Logopädie behandelt man sehr häufig Kinder und gerade diese haben sehr feine Antennen für Anspannungen und Unsicherheiten. Sie wissen, dass mit ihnen etwas nicht stimmt und dass sie sie zur Logopädin müssen „damit sie richtig sprechen lernen“ - es ist also nachzuvollziehen, dass die meisten ihren Eltern mit wenig Begeisterung ins Erstgespräch folgen. Sie sind unsicher, oft defensiv, weil sie nicht wissen, was sie erwartet. Das „Problem“ steht im Mittelpunkt und all die Erwartungen, Ängste, Anforderungen füllen anfangs im Raum zwischen Therapeut und Patient.
In der Tiergestützten Therapie ändert sich der Fokus, weg vom Problem, hin zum positiven Kontaktaufbau mit dem Tier. Die Mutigen berühren das Tier, streicheln es, reden freundlich mit ihm. Ich erinnere mich an eine junge Mutter, die zu Beginn des Anamnesegesprächs so befangen war, dass sie sehr kurz angebunden und unnahbar wirkte. Sie saß steif und angespannt mit verschlossenen Armen auf dem Stuhl und blickte mich kaum an. Als meine Hündin dann aufwachte und sie begrüßte, begann sie spontan, sie zu streicheln und kurze Zeit später saß sie neben Shiva auf dem Boden und erzählte ihr beim Schmusen von den Gründen der Entwicklungsverzögerung ihrer Tochter.
Dieser spontane Beziehungsaufbau kann mit dem Prozess der Du – Evidenz begründet werden.

„Mit Du – Evidenz bezeichnet man die Tatsache, dass zwischen Menschen und höheren Tieren Beziehungen möglich sind, die denen entsprechen, die Menschen unter sich, bzw. die Tiere unter sich kennen.“ (Greiffenhagen).

Wir sind also in der Lage, durch gemeinsames Erleben mit Tieren eine Beziehung zueinander zu knüpfen. Gerade mit Hunden oder Pferden, die ähnliche soziale und emotionale Bedürfnisse haben wie wir und diese auch für uns verständlich kommunizieren, gelingt dieser Kontakt sehr gut.
Die Mutter in dem Anamnesegespräch brauchte dringend Trost und Zuwendung und erhielt genau das von meiner Shiva – nicht in Worten, sondern ganz basal, mitten ins Herz, genau, wo es in diesem Moment hingehörte.
Unsere therapeutische Arbeit basiert auf Vertrauen und Akzeptanz und höfliche, gut ausgebildete Tiere helfen uns immens dabei, diese Basis zu schaffen.


Tiere verstehen uns
Man kann nicht nicht kommunizieren.“ (nach Watzlawik et al.). Und wenn Menschen und Tiere interagieren, dann kommunizieren sie auch miteinander. Jetzt haben unsere Pferde und Hunde in der langen Phase der Domestizierung gelernt, unsere digitale Sprache, die sich willkürlicher Lautsymbole für Handlungen und Gegenstände bedient, zumindest teilweise zu entschlüsseln.
Diese Form der Kommunikation allein wäre aber für alle Beteiligten auf Dauer eher unbefriedigend und glücklicherweise gibt es eine weitere, basalere Option, die über „Sitz!, Platz!, Fuß!“ hinausgeht: die analoge Kommunikation. Sie bezieht Gestik, Mimik, Körperhaltung, Tonus, Prosodie, sogar Geruch und Geschmack in die Interaktion mit ein und wird Kultur- und in unserem Fall sogar spezienübergreifend verstanden.

Wie deuten wir das Verhalten eines Kindes, das den Blick zu Boden senkt und mit den Händen ringt? Was kommuniziert uns ein friedlich, auf dem Rücken schlafender Hund? Hier braucht es keine Worte, um die Schüchternheit des Kindes und die Sorglosigkeit des Hundes zu verstehen.

Für die Sprachtherapie ist diese Ausdrucksform besonders wichtig. Kinder mit ausgeprägten Sprachentwicklungsstörungen, die noch nicht sprechen oder nicht verständlich sind, können sehr schnell und entspannt lernen, den Hund mittels Handsignal ins Platz oder zum Herkommen zu bringen und entdecken so, dass sie durch gezielte Kommunikation etwas in ihrer Umwelt bewegen können. Unsichere Patienten lernen, bewusst ihren Körper einzusetzen, um den Hund oder das Pferd zu kontrollieren. Auch ist es für die meisten eine sehr prägnante Erfahrung, dass nicht Lautstärke, sondern Prosodie und Körpersprache einen Hund beeindrucken. Die Entdeckung und Ausformung unserer anderen, analogen Ausdrucksmodalitäten verbessert die Eigenwahrnehmung und stärkt das Selbstbewusstsein – beides wichtige Grundlagen unserer Arbeit.